BFH hält Aussetzungszinsen von monatlich 0,5 % Prozent für verfassungswidrig!
Veröffentlichungsdatum:
07.09.2024
Autor:
Martin Schrahe
Erschienen in: Herforder Kreisblatt
BFH hält Aussetzungszinsen von monatlich 0,5 % Prozent für verfassungswidrig!
Der Bundesfinanzhof (BFH) hält den gesetzlichen Zinssatz von 6 % p.a. für sogenannte Aussetzungszinsen für verfassungswidrig und hat daher diese Frage dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt (Beschluss vom 08.05. 2024 – VIII R 9/23).
Was versteht man unter ‚Aussetzung der Vollziehung‘ überhaupt?
Einspruch und Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass die festgesetzte Steuer zunächst zu zahlen ist. Vermeiden kann man dies, indem man gegen den Bescheid Einspruch einlegt und die Aussetzung der Vollziehung – kurz AdV – beantragt.
Mit einem Antrag auf AdV – kann man erreichen, dass eine festgesetzte Steuer oder einen Teil der Steuer vorerst nicht gezahlt werden muss. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids oder hätte die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge, hat das Finanzamt die AdV zu gewähren. Das Finanzamt prüft in welcher Höhe die Steuer möglicherweise unrichtig festgesetzt wurde und gewährt dann auch nur in dieser Höhe die AdV.
Stimmt das Finanzamt dem Antrag nicht zu, kann das Finanzgericht angerufen werden. Die Kehrseite der Medaille ist das Zinsen, sogenannte Aussetzungszinsen, festgesetzt werden, wenn Einspruch oder Klage endgültig ohne Erfolg bleiben und die Steuer doch gezahlt werden muss. Für die Dauer der AdV werden bisher auf den ausgesetzten Steuerbetrag Zinsen in Höhe von 0,5 % Prozent pro Monat, bzw. 6 % pro Jahr festgesetzt. Da die Mühlen der Justiz sprichwörtlich langsam mahlen, können erhebliche Zinsbeträge zustande kommen. Im Streitfall wurden Aussetzungszinsen von 0,5 % pro Monat für 78 Monate, also insgesamt 39 % auf die ausgesetzte Steuerzahlung festgesetzt.
Nach Auffassung des BFH sind Zinsen für die AdV in Höhe von 0,5 % pro Monat, zumindest für Zinsfestsetzungen ab dem 01.01.2019 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, da während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase der gesetzliche Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich ist, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen. Zudem werden Steuerpflichtige, die Zinsen schulden, weil sie die Steuer wegen der AdV zunächst nicht bezahlt haben, und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einer Nachzahlung geführt hat und sie die von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssen, ungleich behandelt. Nachzahlungszinsen werden seit dem 01.01.2019 lediglich mit einem Zinssatz von 0,15 % pro Monat, also 1,8 % p.a. berechnet. Auch diese Zinssatzspreizung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Bereits mit Beschluss vom 8.7.2021 hatte das BVerfG die Vollverzinsung von Steuerforderungen und Steuererstattungen in Höhe von 0,5 % Prozent pro Monat, bzw. 6 % pro Jahr ab dem 01.01.2014 für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz erklärt, dies aber nicht auf die Aussetzungszinsen und andere Teilverzinsungstatbestände erstreckt.
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